18.9.2014 Rede von Jörg Gleisenstein in der Aussprache zur Rede des Oberbürgermeisters

In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung haben alle Fraktionsvorsitzenden auf die Rede des Oberbürgermeisters in der konstituierenden Sitzung der StVV geantwortet und die Sicht ihrer Fraktionen auf die grundsätzlichen Fragen zur Entwicklung der Stadt vorgestellt. Für die Fraktion Grüne/B90 - BI Stadtentwicklung - Piraten hat der Fraktionsvorsitzende geredet.

Seine Rede als pdf

Die Rede im Wortlaut:

Stadtverordnetenversammlung Frankfurt (Oder), 3. Sitzung am 18.9.2014
Aussprache zur Rede des OB in der konstituierenden Sitzung der StVV am 19.6.2014

Jörg Gleisenstein, Fraktionsvorsitzender Fraktion Grüne/B90 – BI Stadtentwicklung - Piraten

- es gilt das gesprochene Wort -

Anrede
Die aktuelle Situation unserer Stadt ist keine einfache. Das galt am 19.6. und das gilt auch heute. Der OB hat in seiner Rede versucht ein paar Ansatzpunkte zu nennen, was in den nächsten Monaten und Jahren vor uns steht. Wie wir ihn kennen hat er das sehr nüchtern und pragmatisch getan. Was sollte er auch anderes tun? Seine Situation ist nach der Kommunalwahl nicht einfacher geworden: Er hat keine Mehrheit, auf die er sich stützen kann und die ihn stützt. Er hat den Vorsitz im Hauptausschuss verloren und ein Anflug von Emotionalität in einer Pressekonferenz hat einen Konflikt innerhalb der Verwaltungsspitze eskalieren lassen.
Entsprechend fährt der OB jetzt auf Sicht.

Haushalt 2014, Haushalt 2015, Org-Untersuchung – das sind natürlich in der derzeitigen Situation wichtige Projekte, damit die Stadt strukturell handlungsfähig wird und sich auch in Zukunft ein Mindestmaß an Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit bewahren kann. Dazu müssen wir von der Verwaltung mit dem OB an der Spitze einheitliches Verwaltungshandeln erwarten können.
Leider war das in den vergangenen Jahren nicht die Stärke der Verwaltung – vielmehr wurden wir auch hier in der StVV Zeuge, wie die Verwaltungsspitze mehr gegen- als miteinander agiert hat. Das muss ein Ende haben. Wir Stadtverordnete müssen uns mit Vorlagen der Verwaltung auseinandersetzen können, hinter denen auch die Verwaltung steht.
Leider mussten und müssen wir uns auch mit dem Konflikt zwischen Oberbürgermeister und Bürgermeisterin auseinandersetzen, der uns mit zahlreichen Fragen zurück lässt, wie und mit welchem Personal die anstehenden Aufgaben Haushalt und Org-Untersuchung vernünftig, sachgerecht und zeitnah erreicht werden sollen. Das ist nicht wirklich hilfreich.

Inhaltlich, was die Stadtentwicklung betrifft hat der Oberbürgermeister auf die Ziele verwiesen, die im Integrierten Stadtentwicklungskonzept erarbeitet und aufgeschrieben worden sind.
Aber auch das bildet nur einen Bruchteil der Realität ab. Und die Realität in dieser Stadt ist sehr zwiespältig. Neben den Chancen, die sich durch die Universität und die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Slubice und dem Umland auf polnischer Seite ergeben, gibt es aber auch eine Realität, die sich durch die Zahlen zur Armut und Armutsgefährdung belegen lassen. Hier ist Frankfurt (Oder) leider landes- und bundesweit spitze. Während im ganzen Land Brandenburg 2012 14,6% der Bevölkerung arm oder armutsgefährdet sind es in Frankfurt 26,1% und damit mit weitem Abstand die höchste Armutsgefährdungsquote im Land Brandenburg. Diese Zahlen sind alarmierend und bergen einen hohen Sprengsatz für den Zusammenhalt unserer Stadt. Hier müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, mit den Akteuren vor Ort und koordiniert mit Bund und Land aktiv werden. Dazu reicht es nicht, nur auf neue Industrieansiedlungen zu setzen. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass ganze Bevölkerungsschichten dauerhaft ausgeschlossen werden und keine Perspektive haben. Hier muss sich die Verwaltung zusammensetzen und Strategien entwickeln und neue, abgestimmte Handlungsoptionen entwickeln. Wir fordern Sie auf, auch hier aktiv zu werden.

Die Politik in Frankfurt (Oder) leidet unter einem großen Vertrauensverlust der BürgerInnen in die Verwaltungsspitze und die politischen AkteurInnen. Grund dafür sind Intransparenz, eine mangelnde Fähigkeit zu offenen Diskussionen und oftmals wenig nachvollziehbare Entscheidungswege. Meine Fraktion steht für eine Politik, die die BürgerInnen beteiligt und an der Entscheidungsfindung deutlich stärker teilhaben lässt. Das ist ein wichtiger Schwerpunkt meiner Fraktion – dafür stehen Grüne, die BI Stadtentwicklung und die Piraten.
Herr Oberbürgermeister, Sie haben dieses Thema kurz angesprochen, aber dann nichts Substanzielles dazu gesagt, was über das Vorhandene und einen allgemeinen Appell hinaus geht.
Wir sind überzeugt, dass mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung zusammen gehören. Wir brauchen hier eine Ermöglichungskultur, die die BürgerInnen ermutigt, sich zu engagieren und einzubringen. Die Stadtverwaltung vom Oberbürgermeister angefangen bis zur Sachbearbeiterin muss von diesem Anspruch erfüllt sein.
Gerade in unserer derzeitigen finanziellen Situation sind wir doch angewiesen auf Bürgerengagement. Und wir sehen doch, dass sich immer wieder BürgerInnen engagieren wollen. Der Lenne-Park lebt von diesem Engagement und die Belebung des Brückenplatzes gäbe es nicht ohne das ehrenamtliche Engagement von Menschen aus Frankfurt und Slubice.
Diesen Schatz müssen wir weiter fördern und die Chancen nutzen.
Deshalb werden wir mehr, bessere und frühzeitigere BürgerInnenbeteiligung einfordern: bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen, bei Straßenausbaumaßnahmen, bei der Nutzung von Brachflächen, bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Und wir sind der festen Überzeugung, dass das Konzept des Bürgerhaushalts schnellstmöglich auch hier in Frankfurt angewendet werden muss.
Auch unsere Strukturen hier in der Stadtverordnetenversammlung haben BürgerInnenbeteiligung verschlechtert. Wir haben erste Erfahrungen mit den Riesenausschüssen gewonnen und stellen fest: diese sind sehr ernüchternd. Gerade für die anstehenden Haushaltsdebatten fänden wir es sehr wichtig, auch Sachkundige EinwohnerInnen im Haupt-, Finanz- und Ordnungsausschuss zuzulassen.
Natürlich ist der Umbau der Verwaltung in Richtung Beteiligung, Transparenz nicht zum Nulltarif zu haben. Aber wir sind der Meinung, dass die Alternativen des Weiterso und des Durchwurstelns teurer sind.

Ein Weiterso kann es auch bei der Frage der interkommunalen Kooperation nicht geben. Es ist schon erstaunlich, dass wir mittlerweile bessere und engere Kommunikationsstrukturen zwischen Frankfurt und Stadt und Landkreis Slubice haben als zu den Landkreisen LOS und MOL sowie den liegenden Ämtern und Gemeinden. Ihre diesbezüglichen Aussagen, Herr Oberbürgermeister, waren dann doch noch sehr dünn – oder ausbaufähig – je nach Standpunkt. Ob eine Zusammenarbeit mit den Landkreisen bei der Adoptionsvermittlung und Agrarverwaltung der große Wurf sein werden, um die Verwaltungskraft der Stadt Frankfurt zu stärken und das Gespenst der Einkreisung zu vertreiben, darf bezweifelt werden.
Für die Frankfurter ist wichtig, dass in den anstehenden Diskussionen auf Landesebene erreicht wird, dass die oberzentralen Funktionen Frankfurts erhalten und gestärkt werden und Verwaltung insgesamt bürgernäher und kundenfreundlicher wird.
Die Stadt Frankfurt muss ihre Gestaltungsfähigkeit wieder gewinnen, die sie durch die desolate Haushalts- und Schuldensituation nicht mehr hat. Entschuldung geht aber nur mit dem Land und nicht gegen das Land. Ein Gutachten der grünen Landtagsfraktion liegt dazu seit Juni vor. Nutzen wir jetzt die Chance nach den Landtagswahlen, dass es für diese Frage eine Lösung gibt.

Wenn es um die Vertiefung der Zusammenarbeit mit unseren Partnern auf der anderen Oderseite geht, haben Sie, Herr Oberbürgermeister, meine Fraktion an ihrer Seite. Der fortgeschriebene Handlungsplan enthält ein Bündel an Maßnahmen, das unbedingt umgesetzt werden sollte. Auch hier gilt, dass wir uns dafür einsetzen, die BürgerInnen in Frankfurt (Oder) und Slubice stärker an den Planungen und Plänen zu beteiligen, ihre Erfahrungen aus langjähriger Kooperation zu nutzen und so die Zusammenarbeit auf ein festes Fundament zu setzen.

Auch nach innen müssen wir alles dafür tun, dass Frankfurt für alle eine lebenswerte und liebenswerte Stadt ist. Wir sind überzeugt: Ein friedliches Miteinander verschiedener Menschen und Kulturen bereichert unser Leben, ist Ausdruck eines modernen und selbstbewussten städtischen Lebens sowie die Grundlage für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Alle Menschen in Frankfurt müssen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben und dieses aktiv mitgestalten können.
Steigende Flüchtlingszahlen stellen uns vor Herausforderungen. Sie zeigen, dass wir uns nicht abschotten können vor den Problemen der Welt. Entwickeln wir gemeinsam eine wirkliche Willkommenskultur. Lassen Sie uns an unserem Grundkonsens hier festhalten, dass in einer modernen, vielfältigen und toleranten Stadt kein Platz für Rassismus und rechtsradikales Gedankengut sein kann. Hier werden Sie unsere Fraktion immer an ihrer Seite haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

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